Schlank um jeden Preis

06. Mai 2016

Heinsberg. Den Internationalen Anti-Diät-Tag nehmen betroffene Jugendliche der Wohngruppe Momo und ihre Therapeuten zum Anlass, um auf die mögliche Gefahr von Diäten und "Magerwahn" als Schönheitsideal hinzuweisen.

Am 6. Mai ist "Internationaler Anti-Diät-Tag", initiiert von der Schriftstellerin Mary Evans Young, die heute Geburtstag feiert. Die Britin war selbst an Magersucht erkrankt.

So wie Amelie. Amelie ist 17 Jahre alt und leidet seit rund vier Jahren an Magersucht (Anorexie). Im vergangenen Jahr zog sie in die Gruppe Momo in Heinsberg-Oberbruch. Hier lebt sie zurzeit mit vier anderen Mädchen und zwei Jungen. 

Die Wohngruppe der ViaNobis - Die Jugendhilfe | Schloss Dliborn ist eine pädagogisch-therapeutische Intensivgruppe für Jugendliche mit psychischen Störungen mit dem Schwerpunkt Essstörungen. Sie bietet bis zu sieben Jugendlichen im Alter ab 12 Jahren einen Platz. 

Die Therapeuten, Pädagogen und weiteren Mitarbeiter in der Gruppe Momo haben das Ziel, den erkrankten Jugendlichen, die durchschnittlich ein Jahr hier leben, die Übergangsphase zwischen ihrem Klinikaufenthalt und dem Leben in der Familie oder der eigenen Wohnung zu erleichtern. Der oftmals entstehende Drehtüreffekt Klinik-Zuhause-Klinik-Zuhause soll unterbrochen werden. Viele der Betroffenen haben nämlich bereits mehrere Aufenthalte in somatischen Krankenhäusern oder kinder- und jugendpsychiatrischen Einrichtungen hinter sich.

„Nach einem Klinikaufenthalt ist der Einstieg in das normale Leben für viele unserer Bewohner nicht einfach“, erläutert die Diplom-Psychologin und Systemische Therapeutin Katja Illigens, die die WG Momo leitet. „Da können so banale Alltagsaktivitäten wie zum Beispiel Bus fahren oder Verabredungen mit Freunden oftmals beängstigend sein.“ Die Betroffenen erlebten eine solche Situation voller Überforderung, Angst und Druck, so Illigens.

Lernen von Lebensfreude

Zusätzlich zu den individuellen, erreichbar formulierten Zielen jedes einzelnen Jugendlichen gibt es ein übergeordnetes Ziel für alle: die Steigerung von Lebensfreude, Selbstfürsorge und Selbstwert, denn das haben die Mädchen und Jungen in der Regel komplett verloren, weiß Illigens. „Jugendliche mit einer Essstörung haben häufig besondere Fähigkeiten und Talente, sind empathisch und sensibel oder können gut zuhören und nachfragen“, erzählt die Diplom-Psychologin. All´ dies sehen die Betroffenen durch ihre Erkrankung jedoch nicht. "Die erkrankten Mädchen und Jungen sind meines Erachtens ein Abbild unserer Idealvorstellung, ein Abbild unserer Gesellschaft: Sie sind ehrgeizig, diszipliniert, strebsam und vor allem angepasst. Die Symptome der Jugendlichen sind Symptome der Gesellschaft: Leistungsdruck, höchste Anforderungen, Angepasstsein."

Schule als wichtiger Faktor

In dem zugrunde liegenden Konzept der Gruppe Momo ist die enge Anbindung an Schulen und Vereine ein fester Bestandteil. Die Strukturierung des Tages dient als wichtiger Rahmen, in dem individuelle Entwicklung möglich ist. Ziel ist, dass mit zunehmender Eigenverantwortung der Jugendlichen die Strukturen sukzessiv reduziert werden können. Kooperationen mit Schulen ermöglichen, dass die Jugendlichen zunächst mit einem reduzierten Stundenumfang beschult werden. Dann werden mit ihnen gemeinsam Stufenpläne mit dem Ziel der vollen Beschulung erarbeitet.

„Viele Erkrankte berichten von einer großen Scham beim Essen in der Öffentlichkeit. Es ist ihnen peinlich beim Essen gesehen zu werden“, erzählt Illigens. Aus diesem Grund kann die Therapie auch schon einmal aus einem Besuch und Essen bei einem Fast-food-Anbieter bestehen. „Auch wenn sich dies für manche sicherlich komisch anhört – aber auch das müssen unsere jugendlichen Bewohner oftmals erst wieder lernen.“

Grundsätzlich gibt es in der Gruppe Momo sechs begleitete Mahlzeiten pro Tag - drei Haupt- und drei Zwischenmahlzeiten. Diese sind für die Bewohner mit Essstörung verpflichtend und werden zunächst auf Grundlage eines Essensplans zubereitet und eingenommen - mit dem Ziel, dass die Jugendlichen zunehmend ein eigenverantwortliches Essverhalten ohne Essensplan und ohne Kontrolle bei den Mahlzeiten entwickeln.

Unterstützung der gesamten Familie

Aber nicht nur um die Jugendlichen, sondern auch um deren Familien, kümmert sich das Team von Momo. Denn gerade die Eltern der erkrankten Mädchen und Jungen fühlen sich oftmals schuldig, machen sich Vorwürfe und quälen sich mit Fragen wie: „Was habe ich nur falsch gemacht?“ Und nicht nur für die Eltern, sondern auch für Geschwister und andere Angehörige ergeben sich große Unsicherheiten. So reagieren Geschwister teilweise mit Rückzug oder Wut. „Der Wechsel zwischen An- und Abwesenheit des erkrankten Familienmitgliedes stellt eine große Herausforderung für das gesamte familiäre System dar“, weiß Illigens. Aus diesem Grund hat die Familienarbeit eine sehr hohen Stellenwert: „Besonders wichtig ist uns die Einbeziehung von Eltern, Geschwistern und anderen Angehörigen unserer Bewohner. Es ist aus unserer Sicht notwendig, dass sie alle sich verändern - in welche Richtung, bestimmen die Familienmitglieder selbst.“

Weitere Informationen zur Gruppe Momo finden Sie hier >>>

 

Foto: Anna Petra Thomas


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Karina Saar
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